Wie wichtig die räumliche Nähe für den Wissensfluss und die Entstehung und Verbreitung von Innovationen ist, lässt sich sehr gut aus einer Makroperspektive anhand von Unternehmens-Agglomerationen, d.h. der wirtschaftlichen Konzentration von Unternehmen an einem geografischen Standort, betrachten. Weltweit bekannt sind beispielsweise das kalifornische Silicon-Valley, wo viele Firmen aus der IT-Branche niedergelassen sind, das Medicon Valley in der skandinavischen Öresundregion, das durch die Medizin- und Biotechnologie geprägt ist, sowie die Region Stuttgart, in der sich viele Betriebe der Automobilindustrie angesiedelt haben.
Was im Großen gilt, lässt sich auch auf die Arbeitsumgebung einzelner Unternehmen übertragen. Thomas Allen zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit dass zwei Personen einmal in der Woche miteinander sprechen, mit zunehmender Entfernung voneinander deutlich abnimmt. Angestellte deren Arbeitsplätze mehr als 25 Meter voneinander entfernt sind, haben deutlich weniger Kontakt zueinander und demzufolge weniger informelle Interaktionen. Erwartungsgemäß ist auch die Wahrscheinlichkeit für abteilungsübergreifende Interaktionen geringer als für abteilungsinterne Kommunikation. Interessanterweise nimmt diese aber mit zunehmender Distanz im selben Maße ab, wie die abteilungsinterne Kommunikation.
Eine andere Untersuchung zeigte, dass Mitglieder eines neu zusammengesetzten, cross-funktionalen Teams, welches eine Produktneuentwicklung fünf Monate vor den Wettbewerbern auf den Markt brachte, diesen Erfolg zu einem signifikanten Teil der räumlichen Nähe zueinander zuschrieben.
Einfluss der vertikalen Trennung auf die Kommunikationswahrscheinlichkeit
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Kraut et al. Sie fanden heraus, dass die räumliche Distanz zwischen Wissenschaftlern einen kritischen Faktor dafür darstellte, wer mit wem zusammen Forschungsberichte veröffentlichte. Sie zeigten, dass 36 Prozent der Kollaborationen zwischen Wissenschaftlern entstanden sind, die sich auf der gleichen Etage befanden und weitere 46 Prozent zwischen Wissenschaftlern, deren Arbeitsplatz im gleichen Flur platziert war.
Noch weitaus gravierende Folgen auf die Kommunikationswahrscheinlichkeit als die horizontale Trennung hat also die vertikale Separation von Personen. Die meisten Menschen neigen dazu, nur das Stockwerk eines Gebäudes wahrzunehmen, auf dem sie sich gerade befinden. In der Studie von Kraut et al. veröffentlichten zwei Wissenschaftler, die sich auf zwei verschiedenen Stockwerken eines Gebäudes befanden, genauso selten einen gemeinsamen Bericht, wie zwei Personen die an zwei unterschiedlichen, 40 Meilen voneinander entfernten Standorten arbeiten. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese zwei Personen, die durch eine Etage voneinander getrennt sind, im Laufe einer Arbeitswoche miteinander sprechen, liegt teilweise bei gerade einmal einem Prozent. Um den Effekt der vertikalen Trennung durch Stockwerke zu verdeutlichen hat von Eggelkraut-Gottanka ein Äquivalent zum Effekt, der durch die Laufdistanz verursacht wird, gebildet. Ihm zu Folge entspricht die Trennung durch ein Stockwerk einer vertikalen Laufdistanz von 44,8 Metern. Zwei Stockwerke wirken bereits wie eine Entfernung von 57,9 Metern und bei drei Stockwerken sind es sogar 83,9 Meter. Schaut man sich die Kurve von Thomas Allen an, erkennt man schnell, wie marginal der Effekt durch weitere Stockwerke ist, da die potentiellen Kommunikationspartner ja schon voneinander getrennt sind und dementsprechend wenig direkte Kommunikation zu erwarten ist..
Nähe und Austausch mit Begegnungsorten erzeugen
Der Begriff der Nähe darf aber nicht nur unter rein entfernungsorientierten Aspekten betrachtet werden sondern sollte auch die organisatorischen Nähe einbeziehen. Das bedeutet, dass sich Mitarbeiter zwar jederzeit in der Nähe eines jeden anderen Organisationsmitgliedes befinden, sobald sich diese aber umherbewegen, verändert sich auch der Grad der Nähe. Letztendlich ist auch nicht die tatsächliche Distanz in Metern dafür entscheidend dass kommuniziert wird, sondern das Bewusstsein dafür, dass durch die räumliche Nähe die Möglichkeit besteht jemanden anzusprechen zu können bzw. selber angesprochen zu werden.
Trotz der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit für die Kommunikation mit zunehmender Entfernung zum Kommunikationspartner deutlich sinkt, ist die räumliche Nähe keine Garantie dafür, dass auch tatsächlich Face-to-Face Kommunikation stattfindet. Dazu müssen erst Möglichkeiten zur Zusammenarbeit vorhanden sein. Unter Gemeinschaftszonen versteht man Treffpunkte wie Kaffeeküchen, Besprechungsecken, Leseecken oder Relaxzonen, die teilweise ganz gezielt zur Förderung der internen Kommunikation eingerichtet werden.
Allen und Henn bezeichnen solche Orte als „Centers of Gravity“ – also ein Schwerkraftzentrum oder Schwerpunkt, den Personen gezielt aufsuchen. Ähnlich versteht Stryker diese Orte. Er nennt diese Orte „Collaboration Opportunity“ und versteht darunter die Anzahl der in einem Umkreis von 25 Metern zum eigenen Arbeitsplatz befindlichen Arbeitsplätze, sowie alle in diesem Radius erreichbaren zusätzlichen Arbeitsbereiche, wie Gänge, Lobbies und alle Aufenthaltsbereiche abseits des eigenen Arbeitsplatzes und die Anzahl der „Kontaktorte“, wozu er formelle Besprechungsräume und informelle Kontaktorte im Sinne von Allens Schwerkraftzentren zählt.
Quellen
Allen, T. J. (1988), Managing the flow of technology: Technology transfer and the dissemination of technological information within the R&D organization, 4. Auflage, Cambridge 1988
Allen, T. J., Henn, G. W. (2007), The organization and architecture of innovation: Managing the flow of technology, Amsterdam 2007
von Eggelkraut-Gottanka, T. (2010), Kommunikation in Forschung und Entwicklung: Konzeption, Messung und empirische Analyse, Wiesbaden 2010
Kraut, R. E., Egido, C., Galegher, J. (1988), Patterns of contact and communication in scientific research collaboration, in: Proceedings of the 1988 ACM conference on Computer-supported cooperative work, S. 1-12, Portland 1988
Stryker, J. B. (2004), Designing the workplace to promote communication: the effect of collaboration opportunity on face-to-face communication, Diss. an der State University of New Jersey, Newark 2004